Da hat ein CEO eine Mail an Dich geschrieben, die Du als abwertend empfindest.
Da hat ein junger Mitarbeiter, den Du als Führungskraft befähigen willst, eine mittelmäßige Präsentation gehalten und Du bist enttäuscht über seine Leistung.
Da kommt der Vorschlag für eine Veränderung bestimmter Systeme im Unternehmen und das bereitet Dir unangenehme Gefühle.
Hinzu bietet Deine Frau an, den Garten umzugestalten und Du willst am Besten Deine Ruhe und nichts davon hören!

Es sind nicht die Absichten oder Handlungen anderer, die uns belasten, sondern vielmehr unsere Reaktion darauf. Du spürst Widerstand und erschöpfst Dich daran.

Es ist oft die leise Angst etwas zu verlieren, die uns treibt, Dinge unnötig zu kontrollieren, ausführliche Ziele für die ferne Zukunft festzuhalten, einen Jahresplan aufzustellen oder einen Businessplan akribisch zu erstellen. Es ist die selbe Angst, die uns dazu verleitet, Widerstand gegen das was ist oder Veränderungen zu leisten.

Im Buddhismus gilt oft die Gier als die Wurzel der Angst etwas zu verlieren. Dabei meine ich nicht eine kleine To-Do-Liste für Deine Einkäufe, sondern das, wo Du die Zeit und den Strom des Lebens zu beherrschen glaubst und Deine erstellten Pläne und Ziele um jeden Preis verfolgen willst.

Lass Dich auf ein Experiment ein

Ich will Dir vorschlagen, Dich auf ein Experiment einzulassen und für eine Weile etwas anderes auszuprobieren. Wozu? Um mehr Leichtigkeit und Entspannung in Dein Leben zu bringen.

Wir können viel vom Improvisationstheater für das Unternehmertum und als Führungskraft lernen. Der improvisierte Spieler lässt zu, was sich zeigt, und zwar im Idealfall ohne Kritik, Infragestellung oder Abwertung. Er ist im Strom des Lebens, im Flow, eins mit dem was ist. Daraus ergibt sich Unerwartetes, das oft das Erwünschte übertrifft.

Wie Theaterregisseurin Gerda Gratzer treffend zum Ausdruck bringt: „Das Akzeptieren und das vorbehaltlose „Ja“ bringen allmählich einen Flow in Gang. Statt dem ‚aber’ wirkt das ‚und’ als wertschätzende Weiterführung der Angebote stärkend und belebend auf die Ressourcen und öffnet so einen Raum für Ideen und Intuition.“ 

In ähnlicher Weise wird dies in der Beratung durch die „systemische Verneinung“ nach Matthias Varga von Kibéd erreicht, die statt eines blockierenden ‚Nein’ ein ‚Stattdessen’ oder ein ‚Darüber-Hinaus’ erforscht und damit den Raum öffnet.

Diese Sprache übersetzt nicht-wertschätzende, verfestigte, beharrende oder entwertende Äußerungen auf respektvolle Weise, verflüssigt Verhärtetes und erleichtert den Zugang zu Ideen und Lösungen.

Das vorbehaltlose „Ja“ können Führungskräfte auch von der Kunst lernen, die ja bekanntlich die Grenzen des Vorstellbaren oft zu sprengen weiß.

In Harmonie mit dem Leben

Bei einer Vernissage in Frankfurt habe ich zum Beispiel der 22-ährigen Künstlerin Zarah Annabelle Scheiderer gelauscht, die ihre ungewöhnlichen Bilder m.E. in der vollkommenen Harmonie mit dem Leben gestaltete.

Während des Gestaltungsprozesses berücksichtigte sie intuitiv alles hier vorher Gesagte: Während des Prozesses der Entstehung ließ sie die Beherrschbarkeit und die Kontrolle los. Sie ließ sich leiten durch das, was aus dem Moment heraus und ohne einen konkreten Plan entstand. So berichtete sie davon, dass es schon mehrmals passierte, dass ihr ein Bild zerriss oder eine Tasse Getränk darauf umkippte. Sie wehrte sich nicht dagegen, sondern baute es ein und nutzte das Ereignis. Ein Riss oder ein Fleck gehörte dann dazu, wurde zum Teil des Kunstwerkes, wurde sogar schön und etwas Neues entstand.

Vielleicht sind deswegen ihre Bilder so faszinierend und berührend zugleich. Sie sind wie das Leben selbst.

Vollkommen offen für jede Überraschung und losgelöst von jeder Kontrolle schaffte die junge Künstlerin eine ganze Reihe an Kunstwerken innerhalb von nur sechs Monaten und wurde gleich für die Vernissage entdeckt.

In ihren Worten ist das vorbehaltlose „Ja“ zu dem was ist und die Fähigkeit aus dem was ungeplant kommt, Neues zu gestalten, spürbar. Sie sagt: „Die Kunst ist mein absolutes Ventil. Sie gibt mir die Möglichkeit, alle inneren und äußeren Eindrücke zu verarbeiten und dadurch etwas komplett Neues entstehen zu lassen. Komplett neu und fern von jeder bisher schon bekannten und akzeptierten Logik. Die Kunst hat für mich die wundervolle und nie endende Aufgabe, eine neue Biologie, eine neue Physik mit eigenen Gesetzen und eine neue Religion zu erschaffen – ein eigenes Universum! Hierbei sehe ich mich selbst als Spiegel, in dem sich die äußere Welt spiegelt und als Spiegelbild dann das Kunstwerk entsteht.“

Diese innere Haltung kann auch einer Führungskraft helfen, Neues zu erschaffen, indem an die Stelle eines Widerstands gegen Fehler, Ungeplantes und Überraschungen, ein „ja“ kommt. Das Leben ist eh bei Weitem kreativer als unser Plan. Unter dieser Annahme geschieht weniger Energieverlust.

Zulassen was ist

Wenn wir zulassen was ist, kann etwas entstehen, was unsere Vorstellung des Möglichen und Kreativen sprengt.

So kannst Du die Mail vom CEO mit Mitgefühl betrachten für seine Schwäche Nerven zu verlieren. D.h. anstatt Dich angegriffen zu fühlen kannst Du ihm in seiner emotionalen Not unauffällig als Mentor helfen.

So kannst Du dem einen jungen Mitarbeiter zunächst dafür danken, was bereits alles da ist und von ihm geleistet wurde. Du kannst extra das Gute betonen und Dich allmählich damit in eine viel bessere Stimmung versetzen. Dann kannst Du das eigentliche Potenzial plötzlich gut sehen und der Zeit anvertrauen. Mit dieser Haltung befähigst den Mitarbeiter dazu, Gold wert für das Unternehmen zu werden.

Und lass Deine Frau den Garten umgestalten! Feier das Ereignis, kauf eine Flasche Kindersekt und lass es knallen!

Quellenangabe:
SyStemischer, Zeitschrift für Systemische Strukturaufstellungen, Heft 9 2016, Thema
Leben, Artikel „Improvisation und das Gespür für die Richtung“ mit Gerda Gratzer, S.56-65
Elisabeth Ferrari: Toolbox Konflikte lösen. Toolbuch. Aachen 2015
Haus der Begegnung Frankfurt, http://www.hdb4you.de
Foto: Björn Reibert