Ich erinnere mich noch genau, wie ich mich damals in meinen Partner verliebte. Bis heute verbindet mich dieser Moment mit ihm. Der Anstoß für unsere Beziehung heute war nur dank seines Mutes möglich, sich damals auf eine ganz besondere Art verletzbar zu zeigen.

Es war auf einer intensiven Weiterbildung. Mit ca. 160 anderen Kollegen wurden wir im Rahmen einer Übung eingeladen auf die Bühne zu kommen und mitzuteilen, wofür wir uns am meisten schämten. Nee, dachte ich sofort, das schaffe ich nicht…

Nur wenige trauten sich. Einer davon war der Mann, der heute mein Partner ist.

Es war ein bewegendes Bild der Heilung. Denn jeder, der so mutig war auf die Bühne zu gehen und das Schwierigste über sich selbst der großen Gruppe mitzuteilen, war danach wie transformiert und von derselben Scham geheilt.

Jeder von ihnen zeigte sein Innerstes trotz der Gefahr womöglich noch mehr verletzt oder beurteilt zu werden. Genau das Gegenteil ist passiert.

Die meisten von uns konnten sich gut damit identifizieren, was der Mutige auf der Bühne mitteilte. Jeder konnte einen Anteil einer ähnlichen Situation, einer ähnlichen Scham in seinem Leben finden. Die Mutigen merkten, dass sie nicht allein sind. Die Scham war vorbei.

Als mein Partner sich mitteilte, waren Zittern und Angst in seiner Stimme zu spüren. Und ganz viel Mut und Güte. In dem Moment habe ich sein Herz und seine Fähigkeit zu lieben gesehen und bewundert. Ich war hin und weg. In dem Moment spürte ich Liebe für diesen fremden Mann.

Doch warum erzähle ich das hier?

Täglich binden wir so viel wertvolle Lebensenergie, um Scham und Wut oder sogar Freude zurückzuhalten! Unausgesprochenes zu sammeln führt zu Energieverlust und schließlich zu einer Krise in jeder Beziehung, ob beruflich oder privat.

Eine offene Aussprache ist der einzige Weg auf der Gefühlsebene gesund zu werden.

Es ist weiß Gott nicht einfach, Dich verletzlich zu zeigen… Und wenn Du es doch schaffst, Deine eigentlichen Gefühle, Deinen Schmerz zu zeigen, wirst Du erstaunt sein, wie nah Du Dir selbst und dem anderen wirst.

Es ist am Ende gar nicht so dramatisch und es gibt nichts, wofür Du Dich schämen musst. Trau Dich…

Vielleicht merkst Du beim Lesen, dass Du Angst bekommst, anstatt mehr Verbundenheit zu erfahren noch mehr verletzt zu werden, wenn Du Deine Gefühle zeigst.

Ja, es kann sein, dass der andere Dich nicht versteht oder erstmal gar überfordert ist. Und doch wird Dein Mut stets belohnt. Du entwickelst Dich weiter. Der andere mag vielleicht später nachziehen, denn unbewusst weiß jeder um die heilsame Seite der offenen Kommunikation.

Dich verletzlich zeigen: Regeln für ein gutes Gespräch

Dabei gibt es allerdings ein paar Regeln, damit so ein Gespräch auch wirklich gut gelingen kann.

Wenn Dich etwas nervt, verletzt, trifft, dann reagierst Du gewöhnlich, indem Du direkt antwortest. An dieser Stelle ist allerdings bewusstes Agieren statt des üblichen Reagierens angesagt.

Und das heißt:

  1. INNEHALTEN: Frage Dich, was Du gerade fühlst. Gib dem Gefühl einen Namen.
  1. VERBINDE DICH MIT DEM GEFÜHL: Wo spürst Du das Gefühl in Deinem Körper. Erforsche weiter. Gib dem Gefühl eine Farbe, eine Temperatur, eine Textur. Lass es da sein. Zensiere es nicht. Es darf da sein.
  1. 100% VERANTWORTUNG: Wer ist verantwortlich für alle möglichen Gefühle, die in Dir ausgelöst werden? Ja, genau, Du bist es. Der andere ist niemals Schuld an Deinem Schmerz. Übernimm die Verantwortung für Dein Leben. Das bringt Dich in Deine Kraft.
  1. ENT-SCHULDIGE DEN ANDEREN: Befreie den anderen von der Schuld. Der andere hat lediglich Deine Reaktionen ausgelöst und nicht verursacht. Es ist Deine Geschichte. Kümmere Dich darum und weniger um den anderen.
  1. WOHER KENNST DU DAS GEFÜHL? Du fühlst es sicherlich nicht zum ersten Mal. Wann in Deiner Vergangenheit hast Du es bereits gefühlt?
  1. BENENNE DEIN BEDÜRFNIS: Was willst Du stattdessen? Gib Deinem Bedürfnis einen konkreten positiven Namen und lasse es auf Dich wirken, als ob es schon erfüllt wäre. Wo ist dieses schöne Gefühl des erfüllten Bedürfnisses jetzt im Körper präsent? Tauche da ganz ein.

Nach diesen Schritten wird das Gespräch erfolgreich ablaufen.

Ich weiß, diese Schritte verlangen Mut und ein ordentliches Training für den Geist, der seit Jahrzehnten den Weg des üblichen Reagierens mit Schuldzuweisungen gewohnt ist: Wir wollen am liebsten am anderen schrauben, um an uns selbst nicht arbeiten zu müssen. Ist halt bequemer. Funktioniert nur irgendwie nicht.

Es ist sehr ratsam, diesen Weg nicht alleine zu gehen, damit Du nicht aufgibst, bevor er seine Früchte trägt.

Egal, welchen Weg Du wählst, jeder der beiden wird Dich Energie und Einsatz kosten. Die Folgen sind allerdings unterschiedlich.

Den alten Weg kennst Du womöglich zur Genüge und hast damit bis jetzt kaum Erfolg gehabt.
Vielleicht fühlst Du Frust und bist seelisch ausgelaugt. Vielleicht leidet Deine Beziehung gerade an dieser üblichen Art der Kommunikation oder Du merkst, dass Du im Beruf nicht weiterkommst.

Das Umdenken und der neue Weg ist auch anstrengend und kostet Dich Energie und Einsatz. Die langfristigen positiven Folgen für Dein Leben sind allerdings völlig anders.

Werte

Du wählst, welchen Weg Du gehen willst. Wirst Du Dich verletzlich zeigen?

Mein Dank an Björn Reibert  fürs Foto.