Macht Dich gerade Dein Job, Dein Partner oder Deine Mutter wütend?

Wenn ja, wie gehst Du mit Deinem Ärger um?
Nimmst Du ihn wahr? Gibst Du ihm Ausdruck? Oder versteckst Du Deine Gefühle?

Wut ist für viele ein verpöntes Gefühl und hat keinen Platz in der alltäglichen Oberflächlichkeit unserer Gesellschaft. Auch in vielen nach Freude, Liebe und Harmonie strebenden spirituellen Kreisen, wo es ganz nach „wir haben uns doch alle lieb!“ läuft, ist Wut so ungefähr das niedrigste Niveau, auf das ein Mensch sinken kann.

Wir sollten nach Möglichkeit durchgehend lächeln und für alles Verständnis und Nachsicht haben. Wer dennoch wütend wird, hat sozial gleich verloren. Durch die gesellschaftliche Inakzeptanz verletzt angeblich schon jeglicher aggressive Ton.

Wut ist doof

Wenn wir nur das Gefühl Wut betrachten, dann stellen wir fest, dass es viele Glaubenssätze darüber gibt, warum Wut doof sein soll.

So manche deutschen Sprichwörter vertreten diese Ansicht:

Der Zorn beherrscht nur schwache Leute.
Der Zorn wirft blinde Junge.
Wer mit Zorn aufsteht, setzt sich mit Schaden nieder.

Und einige Sprichwörter setzen zurückgehaltene Wut in ein schlechtes Licht:

Hüte dich vor einem Mann, der im Zorne lächeln kann.
Wer niemals außer sich gerät, wird niemals in sich gehen.

Seit langer Zeit beschäftigen sich Psychologen und andere Experten mit dieser Emotion.

In den 60-er und 70-er Jahren gab es therapeutische „Kreuzzüge“ im Namen der Wut. Damals entstanden ganze Therapien mit dem Einsatz der sogenannten Katharsis (therapeutisches Ausleben von negativen Emotionen v.a. Aggressionen, wie das Schlagen auf einen Sandsack, wodurch eine Reduktion von Ärger und Wut erzielt werden soll) mit dem Ziel Migräne, Magengeschwüre und Anspannung durch Ausleben von Wut vorzubeugen.

In den 80-er Jahren distanzierten sich viele Befürworter von der eigenen Methode, weil diese bei den Menschen langfristig nicht den Abbau, sondern eine deutliche Steigerung aggressiver Tendenzen zur Folge hatte.

Also wurde die Wut erst recht zu einer doofen Emotion, die weder mit Verdrängen noch mit Ausleben langfristig zu beherrschen war.

Was tun?

In ihrem Buch „Wut. Das missverstandene Gefühl“ erzählt die Autorin Carol Tavris im Detail von den Auswirkungen der Katharsis und schlägt Wege vor, sinnvoll und liebevoll mit der Wut umzugehen.

Ein weiterer Mittelweg wie Cicero ihn vorschlägt, kann auch eine wunderbare Lösung sein, sich Wut zu erlauben und doch sich ihr nicht hinzugeben:

Sich im Zorne gar nicht besänftigen zu lassen, zeugt von großer Härte, gar zu leicht wieder gut zu werden, von großer Schwäche des Gemüts; indessen wäre doch dieses, als das kleinere Übel, immer noch jenem vorzuziehen.

Und dann gibt es da noch den Rat von Buddha höchst persönlich:

Wenn Wut hochkommt, höre ihr zu, höre darauf, was dir diese Energie erzählt. Erinnere dich immer wieder: Das ist Wut, Wut … Sei aufmerksam und schlafe nicht dabei ein. Sei aufmerksam darüber, dass dich Wut umgibt. Du bist derjenige, der das beobachtet. Und genau da liegt der Schlüssel.

Wut vs. Aggression

Wut gehört zu den Grundemotionen wie Angst, Trauer und Freude.

Und während  Schmerz, Angst und Trauer als Zeichen eines „tiefen Prozesses“ akzeptiert sind, existiert für Wut selten ein bewusster akzeptierter Raum. Vor allem wohl deshalb, weil sie häufig mit Aggression verwechselt wird.

Ich finde, dass der amerikanische Therapeut Robert August Masters es am Besten zum Ausdruck bringt:

„Die meisten von uns verwechseln Wut mit Aggression, das ist schon mal das Erste. Aber Wut, in ihrer reinen Form, ist eine verletzliche Emotion. Sie ist eine Art zu zeigen, dass einem etwas wichtig ist und dies energetisch zu betonen…. Es ist eine Energie, die eine Beziehung vertieft, wenn sie gut aufgenommen wird. Aggression sieht in manchen Fällen ähnlich aus wie Wut. Aber da ist keine Verletzlichkeit und sie möchte den anderen verletzen. Und wenn wir das bis zum extrem ausreizen, sind wir bei Gewalt. Die muss nicht physisch sein, sondern kann auch emotional ablaufen. Und wegen all dem hat Wut einen schlechten Ruf.“

Während Aggression immer eine angreifende Energie hat, kann Wut eine Qualität von Mitgefühl, Verletzlichkeit und Sensibilität in sich tragen, in welcher die Liebe für das Gegenüber nicht verloren geht.

Wut ist alles andere als eine primitive Emotion, weil sie sich so sehr mit anderen Gefühlen mischt: Verletztheit, Schmerz, Ohnmacht, Frustration, Verwirrung, Angst – all das und viel mehr kann in Wut enthalten sein.

Wut tut gut

Früher war ich Meisterin des Verdrängens der Wut und fand es mehr als unanständig diese zu zeigen. Wenn es dann doch passierte, schämte ich mich darüber. Heute setze ich sie ein, um gesunde Grenzen zu setzen und mich zu schützen oder mich durchzusetzen.

Am Anfang steht Wut für die Nicht-Annahme der Situation wie sie ist (sei es z.B. Ungerechtigkeit, Kinderarmut, Tierquälerei), bis dann ein konstruktiver Ausdruck davon zu fruchtbaren Projekten und zu mehr Liebe auf der Welt führt. Diese Energie gibt Kraft für einen guten Zweck zu kämpfen und zu erschaffen, wie z.B. ein Waisenhaus in Indien aufzubauen oder sich kreativ für den Tierschutz einzusetzen.

So mancher Vortrag oder Artikel von mir ist nur deswegen entstanden, weil ich bestimmte Umstände in unserer Gesellschaft oder auf dem Arbeitsmarkt nicht akzeptierte und etwas bewegen wollte. Es gab mir den Antrieb und die nötige Energie dafür.

Wut macht Dich wehrhaft. Wenn jemand Dich übergeht und bei der Arbeit respektlos behandelt, kann angenommene Wut darüber Dir helfen Dich abzugrenzen und Klarheit zu schaffen. Sanftmut zu zeigen, wenn Du schlecht behandelt wirst, ist dagegen nicht zielführend und kann Respektlosigkeit schüren.

Wut ist nichts anderes als (Lebens)Energie und Antriebskraft. Wenn Du sie achtsam nutzt, wirst Du produktiver denn je.

Die Voraussetzung dafür ist die radikale Annahme der Wut. Sie darf sein. Wenn Wut bewusst gemacht und angenommen wird, verwandelt sie sich in Weisheit. Damit erreichst Du die besten Ergebnisse!

Du kannst Dich nicht lächerlich machen, wenn Deine Wut von Herzen kommt und Du es aufrichtig und zum Wohle aller Wesen meinst. Sie kann Dir einen feurigen verbalen Ausdruck verleihen, sodass andere sehen, dass Du es ernst meinst und Stellung beziehst.

Schaue Dir an, wie Mahatma Gandhi seine Wut nutzte um Unmögliches möglich zu machen.
Mit Achtsamkeit und Mitgefühl.

Und manchmal hat ein Kirchenlehrer aus dem Mittelalter doch vollkommen recht 😉

Zorn ist die Voraussetzung für den Mut.
Thomas von Aquin

PS: Du bist herzlich eingeladen, Deine Erfahrungen mit dem Gefühl Wut unten in den Kommentaren mitzuteilen!