Nicht immer ist es angebracht, Wut auszudrücken, aber Du solltest auch niemals Deine Wut unterdrücken und verdrängen.

Ich höre immer wieder manche Menschen in meiner Umgebung stolz von sich sagen: „Ich werde nie wütend!“ oder: „Ach, bis ich wütend werde, muss schon viel schiefgehen!“

Früher habe ich diese Menschen bewundert. „Wow“, dachte ich mir, „die sind vielleicht ruhig, gelassen, (dauer)ausgeglichen und souverän.“ Bis ich die andere Seite der Medaille erfahren habe.

Immer wieder stellte ich fest, dass Menschen, die von sich behaupten nie aus der Haut zu fahren und das Gefühl Wut nicht wirklich zu kennen, können auch andere Gefühle wie Freude oder Trauer nicht wirklich leben. So habe ich diese Menschen nur selten bis gar nie aufrichtig und von Herzen lachen sehen.

Wenn Du Deine Wut nicht zulässt und sie zu unterdrücken versuchst, wird sie möglicherweise Ausdrucksweisen finden, die bei weitem zerstörerischer sein können als ein offener und ehrlicher Ausdruck davon. Das nennt man passive Aggression.

Das Unterdrücken von Wut führt oft zu passiver Aggression

Die unterdrückte oder nicht wahrgenommene Wut findet oft Wege nach Außen in einer passiven Form, die für jede Art von Beziehung schädigend sein kann.

Es gibt Menschen, die keinen anderen Umgang mit ihrer Wut gelernt haben und ihr Leben lang ihre Wut unterdrücken und dann (oft unbewusst) passiv ausleben. Das kann sich in Form von Gemeinheit, Trotz, Vergessen, Zuspätkommen, angeblich harmloser Sticheleien oder gar Depression ausdrücken. Letzteres weil Depression oft eine Folge von nicht gefühlten Gefühlen ist, ein Gefühl der Gefühllosigkeit eben. 

Die Konsequenzen sind für alle Beteiligten sehr traurig. Und machen wütend.

In seinem Buch Warum Männer mauern beschreibt der renommierte amerikanische Psychotherapeut Scott Wetzler am besten, was passive Aggression ist, warum sie als Überlebensstrategie entsteht und wie alle Beteiligten damit umgehen können.

Abhängig von der Ausprägung der passiven Aggression, ist eine längere Psychotherapie empfehlenswert.

Verlust der Verbindung zu Dir selbst

Wut zu unterdrücken und gar nicht erst zu spüren bedeutet, sich von sich selbst zu trennen. Du stehst einfach nicht in Kontakt mit Dir, dem eigenen Herzen und der eigenen Gefühlswelt. In diesem Zustand bist Du auch wie getrennt von anderen Menschen. Dann findet nur eine oberflächliche und irgendwie fade Kommunikation statt, die keine echte Begegnung erlaubt.

Ich war selbst Meisterin darin, meine Wut zu verstecken, aber ich nahm sie gut wahr. Ich hatte Angst vor meiner eigenen Wut und vor der Wut anderer. Nicht nur weil ich sie mit Aggression und Gewalt verwechselte, sondern weil ich die Reaktion des Gegenübers fürchtete, sollte ich meine Wut zeigen. In meiner Erziehung galt Wut als etwas „Unanständiges“, wofür man sich schämen muss.

Eine weitere Gesetzmäßigkeit ist mir dabei aufgefallen: wenn ich meine Wut nicht ausdrückte, hat das mein Gegenüber für mich ausgedrückt. Das heißt der andere spiegelte mir meine eigene versteckte Wut, oft in einer passiven Form.

So habe ich erst später gelernt, was ich als Kind nicht durfte: Das liebevolle Annehmen meiner Wut und gesunder konstruktiver und kreativer Ausdruck von dieser wunderbaren nützlichen feurigen Energie!

Mit wachsendem Bewusstsein darf Wut sein und mehr noch: Sie darf zu mehr Liebe führen!

Achtsame Wut

Manchmal ist es gut, die Stimme zu erheben und laut zu werden und manchmal ist es wichtig, das zu lernen, was man „achtsam gehaltene Wut“ nennt. Dabei nehmen wir Wut bewusst wahr und lassen sie frei in unserem System zirkulieren, aber agieren sie nicht im Äußeren aus.

Durch ein solches bewusstes Wahrnehmen und Ergründen von Wut, gelangen wir zu einem Mitgefühl mit unserer eigenen Wut und der Wut anderer Menschen. Denn da ist so viel Verletzbarkeit.

Erst dann öffnet sich der Raum für die sogenannte „Herz-Wut“ (wie der Therapeut Robert August Masters es nennt), eine Wut voller Leidenschaft, Mitgefühl und Achtsamkeit.

Leider haben so viele Menschen immer noch Angst davor, ihre Wut wahrzunehmen, geschweige denn, zu ihr zu stehen und sie auszudrücken. Doch gewusst wie, kann es riesige Beziehungswunder bewirken.

Alle Erleuchteten dieser Welt schlagen vor: Wirf Deinen Ärger nicht auf den anderen und unterdrücke ihn nicht, sondern beobachte ihn.

Wenn Du beobachtest, dann passiert es langsam, dass Du so getrennt von der Wut bist, dass sie Dich nicht mehr beeinflusst. Du erkennst, dass nicht Du derjenige bist, der wütend ist. Ärger ist in Deinem Körper, doch Du bist das nicht.

Wie erlebst Du Deine Wut?
Wie fühlt sie sich in Deinem Körper an, wenn Du sie empfindest?
Kannst Du sie einfach als Energie wahrnehmen und da sein lassen?

Erlaube Dir das Gefühl Wut. Verdränge das Gefühl nicht. Gehe darin nicht auf, aber erlaube es, da zu sein. Beobachte sie wie von oben, von einer Metaposition aus und lass Dich diese Energie im Körper wahrnehmen.

Jedes Gefühl hat einen Widerhall im Körper und wartet darauf, dass Du es ganz und gar bewusst wahrnimmst.

Vielleicht spannen Deine Kiefer an oder Du ballst unbewusst die Fäuste. Spüre, wie diese Energie in Deinem Körper fließt und wohin sie geht.

Schritt für Schritt wird die Wut dank dieser Übung kleiner, weil Du somit das Feuer nicht mehr unterstützt. Erst danach kannst Du weise handeln.

Das ist der Weg um diese lebendige Energie zu verwandeln und konstruktiv für Dein Leben zu nutzen!

Und wenn Du noch weitergehen willst: Lausche der Stille jenseits der Wut. Nimm die Freiheit und Weite und Reichtum dahinter wahr. Das gelingt Dir am Besten in der Meditation. Es ist überwältigend, was Du entdecken kannst.

Das ist alles was es braucht, damit Du runterkommst und die Intensität nachlässt.

Nutze Deinen Geist und Deinen Körper dafür.

Nicht damit Du die Wut loslassen kannst, sondern damit sie Dich loslässt.